Der Wald im Klimawandel

Die langen Hitze- und Dürreperioden in den vergangenen Jahren haben den Wäldern in Baden-Württemberg stark zugesetzt, berichtet Försterin und Gaunaturschutzwartin des Schwäbischen Albvereins, Waltraud Leinen, im Interview zum Tag des Waldes am 21. März. Ein vergleichsweise feuchtes Jahr 2023 hat daran nicht viel geändert. Der Forst arbeitet an Strategien, den Wald widerstandsfähiger zu machen.


Frau Leinen, wie ist der Zustand des Waldes derzeit?

Leider schlecht, auch wenn 2023 ein überdurchschnittlich nasses Jahr war. Aber Juni und Juli waren zu warm und sehr trocken. Das hat die Bäume gestresst. Es reichen schon sechs Wochen ohne Regen aus, dass auch tief wurzelnden Bäumen das Wasser ausgeht. Und solch lange Trockenzeiten haben wir mittlerweile jedes Jahr. Die Wälder haben einfach keine Zeit mehr, sich wirklich zu regenerieren. Sie sind im Dauerstress.

Wie wirkt sich dieser Stress konkret aus?

In den langen Trockenphasen sterben viele Äste ab. Außerdem sind die Bäume anfälliger für Schädlinge, also für Insekten oder Pilze. Diese nutzen die Schwächung der Bäume aus. Selbst die Buche, die ziemlich robust ist, zeigt großflächig Schäden. Da leuchten alle Alarmknöpfe.

Sind diese Schäden dem Klimawandel zuzuordnen? 2023 haben wir ja zum ersten Mal die 1,5 Grad-Marke überschritten.

Man muss das differenzieren. Ein Durchschnittswert, wie die 1,5 Grad, sagt über das Wohlbefinden einer Pflanze prinzipiell erst einmal nichts aus. Es wird im Schnitt wärmer, das stimmt. Aber das ist isoliert betrachtet nicht unbedingt ein Problem. Das Problem für den Wald und für unsere Natur generell sind langhaltende Wetterphasen. Und werden im Zuge des Klimawandels häufiger. Wir haben monatelange Schönwetterphasen mit teilweise sehr hohen Temperaturen, dann wieder Regenphasen über mehrere Monate. Dazu gibt es mehr Stürme – das tut der Vegetation nicht gut. Faktisch sind deshalb mittlerweile alle Bäume vom Klimawandel betroffen. Die Schäden sind enorm.

Artenreicher Mischwald ist der beste Schutz gegen den Klimawandel. Das ist mittlerweile gut belegt. Wie reagiert die Forstwirtschaft auf diese Erkenntnisse?

Es ist richtig, dass eine Mischung der Baumarten eine größere Widerstandskraft hat, als eine Monokultur. Je mehr Arten, desto stabiler ist ein Ökosystem. Die verschiedenen Arten stützen sich dann gegenseitig und schaffen einen Ausgleich. Allerdings gibt es bei uns auch natürliche Monokulturen wie den Buchenwald. An guten Standorten verdrängt die Buche andere Baumarten. Aber sie kommt auch als Mischbaumart vor auf für sie nicht so optimalen Böden. Wir versuchen jetzt, dort, wo die Buche Probleme bekommt, den Wald zu diversifizieren. Etwa mit der Eiche oder der Elsbeere. Das geht nur durch Pflanzung. Grundsätzlich muss man sagen, dass der europäische Wald generell artenarm ist. Das liegt an der Eiszeit. Im tropischen Wald oder auch in amerikanischen Wäldern ist die Artenvielfalt viel größer – auch auf den gleichen Breitengraden. Das bedeutet, dass uns gar nicht so viele Baumarten für eine Durchmischung zur Verfügung stehen.

Sind Bäume aus anderen Erdgegenden eine Lösung? Man könnte widerstandsfähige Arten von dort bei uns anpflanzen.

Die forstlichen Versuchsanstalten experimentieren derzeit mit Baumarten vom Balkan und aus Zentralasien – also Arten, die an kontinentales Klima gewöhnt und von Natur aus heißen Sommern und Trockenheit ausgesetzt sind. Solche Versuche sind aber sehr langwierig, 40 Jahre und mehr. Bäume wachsen halt langsam. Es gibt viele Fragen, die beantwortet werden müssen. Wie wirken sich fremde Arten auf unser Ökosystem aus? Wie kommen sie mit den Böden hier klar? Wie mit hoher Luftfeuchtigkeit im Sommer? Und was macht das mit den heimischen Arten, wenn man eine fremde Art einführt? Das ist alles nicht so einfach. Wir tasten uns da heran.


«Unsere Wälder verändern sich durch den Klimawandel. Es kann gut sein, dass sie in Zukunft jünger und lichter sein werden.» (Waltraud Leinen)


Welche Strategien zur Klimaanpassung stehen denn sonst noch zur Verfügung?

Wir nutzen einmal die natürliche Verjüngung. Und wir pflanzen punktuell verschiedene Baumarten, wo eine natürliche Durchmischung und Verjüngung durch Aussaat nicht zu erreichen ist. Dafür nutzen wir zum Beispiel den Spitzahorn. Der ist relativ hitze- und trockenresistent. Im Bereich der Nadelhölzer greifen wir auf Bäume mit tiefen Wurzeln zurück, etwa die Weißtanne oder auch die Douglasie. Sie ist zwar auch keine heimische Art, aber sie ist immerhin schon gute hundert Jahre hier, so dass wir bereits Erfahrungen mit ihr haben. Von Fichtenschonungen unter 500 Höhenmetern müssen wir uns verabschieden. Die Bäume sterben in diesen Breiten einfach ab, weil es zu trocken ist. Vielleicht müssten wir aber auch tatsächlich mutiger in Versuche mit anderen Arten gehen. Denn so wie es momentan aussieht, können wir nicht abwarten, bis sich unsere Wälder natürlich umbauen.

Wie verändert sich die Arbeit im Forst in Zeiten des Klimawandels?

Wir Försterinnen und Förster haben viel mehr Arbeit als früher. Wir müssen mehr Kontrollen durchführen, weil es viel mehr geschädigte Bäume gibt. Der Wald ist groß. Da stehen wir echt unter Druck. Außerdem müssen wir wesentlich mehr pflanzen. In meinem Revier sterben gerade sehr viele Eschen durch eine Pilzkrankheit. Das macht mir Sorgen und bereitet mir viel Arbeit.

Der Wald ist Erholungsraum für viele Menschen. Wir kennen ihn als dicht und grün und friedlich. Nachdem was Sie erzählen, verändern sich die Wälder aber gerade sehr. Werden wir künftig noch Wälder haben, wie wir sie jetzt kennen?

Unsere Landschaft verändert sich. Schauen Sie mal ins Sauerland oder in den Harz. Da gibt es mittlerweile Flächen, die komplett entwaldet sind, weil die Fichten alle abgestorben sind. Wir in Baden-Württemberg haben Glück, dass wir sehr schöne und sehr gemischte Wälder haben. Aber auch bei uns sterben Bäume teils flächig ab. Ich denke, wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass es nicht mehr so viele alte Bäume geben wird, vor allem im Wirtschaftswald. Ein junger Baum hält einfach mehr aus. Allerdings sind alte Wälder sehr viel artenreicher. Deshalb ist das nicht unbedingt eine gute Aussicht für den Naturschutz.

Eine andere Strategie können wir uns aus dem Mittelmehrraum abschauen. Dort stehen die Bäume viel weiter auseinander, damit sie sich nicht gegenseitig das Wasser abgraben. Vielleicht werden wir das übernehmen müssen. Dadurch wird unser Wald lichter werden.

Durch den Klimawandel gibt es mehr Stürme bei uns. Äste werden abgerissen, Bäume stürzen um. Wie sicher ist es dauerhaft noch in unseren Wäldern?

Bei Starkwind ist es im Wald nicht sicher! Das kann ich nicht oft genug sagen. Viele alte Bäume haben im Kronenbereich dicke, abgestorbene und zum Teil morsche Äste. Wenn da einer runterfällt, kann das lebensgefährlich sein.

Astbruch im Wald gilt als „waldtypische Gefahr“. Was bedeutet das genau für Erholungssuchende?

Das bedeutet, dass sie sich auf eigene Gefahr im Wald aufhalten. Wir Förster sind nicht verpflichtet und auch nicht in der Lage, an Waldwegen alle dürren Äste von den Bäumen zu entfernen. Das ist anders an öffentlichen Straßen oder in städtischen Parks. Da werden die Bäume genau kontrolliert. Wenn Sie in den Wald gehen, dann müssen Sie mit „waldtypischen Gefahren“ rechnen, also damit, dass auch einmal ein Ast herunterfällt. Leider wissen das viele Menschen nicht. Ich sehe es als eine der Aufgaben der Wandervereine an, auch auf diese Gefahren hinzuweisen.

Klimawandel verändert das Wandern

Die Wandervereine stehen angesichts der Klimaerwärmung vor großen Herausforderungen. Hitze und Trockenheit einerseits, Starkregen und Überschwemmungen andererseits, dazu Astbruchgefahr, zerstörte Wanderwege und Markierungen – das Wandern wird sich in den nächsten Jahrzehnten sehr verändern. Ebenso wie die Landschaft.

Aufgrund der Trockenheit herbstelt es bereits in den Wälern.

Die Baumkronen verfärben sich, Äste tragen nur noch buntes Laub oder sind schon ganz kahl. Es herbstelt bereits in den Wäldern. Dabei ist es erst August, noch mitten im Hochsommer. Doch nach Wochen mit Dauerhitze und Trockenheit reicht es den Bäumen. Sie sind müde und gehen verfrüht in die Pause. Und nicht nur sie. Die Erde ist staubtrocken, das Gras verdörrt und die Blumenbeete im Garten sind nur noch bunt, weil man sie regelmäßig gießt. In diesem Sommer wird es auch den letzten „Klimaskeptikern“ klar: Das ist nicht normal. Der Klimawandel steht nicht vor der Tür, er hat die Tür bereits eingetreten.

Temperaturen steigen – Trockenheit nimmt zu
Der vorherige Satz ist ein Zitat von Dr. Andre Baumann. Der Staatssekretär im baden-württembergischen Umweltministerium sprach beim 121. Deutschen Wandertag in der Schwabenlandhalle in Fellbach vor den Delegierten der Wandervereine über das Thema Klimawandel und welche Rolle den Wandervereinen dabei zukommt. Wir alle wandern doch gerne durch unsere idyllischen Kulturlandschaften und erfreuen uns an gewohnten Landschaftsbildern wie lichten Buchenwäldern, saftigen Streuobstwiesen, gepflegten Wacholderheiden und bunten Blumenwiesen. Doch wie lange ist das noch möglich?

Fichtenwälder wird es in naher Zukunft in Deutschland kaum mehr geben.

In Baden-Württemberg ist die Durchschnittstemperatur seit Beginn der Wetteraufzeichnung im Jahr 1881 um rund 1,5 Grad angestiegen. 80 Prozent der Flüsse und Bäche führen derzeit Niedrigwasser, 40 Prozent aller wildlebenden Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet. Wie wird es zum Ende des Jahrhunderts aussehen im Land? Wird es noch Nadelwälder geben? Saftige grüne Wiesen? Schnee im Winter und genug Regen in den anderen Jahreszeiten? Momentan sieht es nicht danach aus. „Wir steuern auf sizilianische Verhältnisse zu“, so Baumann. Dann wird von den Fichtenwäldern des Schwarzwalds, aber auch im Harz, im Sauerland, im Bayerischen Wald oder anderswo nichts mehr übrig sein.

Vor allem Flachwurzler wie die Fichte leiden
Die Fichte leidet massiv unter der Kombination aus Wassermangel, Hitze und Borkenkäferbefall. Forstexperten bezweifeln, dass der „Brotbaum der mitteleuropäischen Forstwirtschaft“, wie sie kürzlich in einem Artikel in der Stuttgarter Zeitung genannt wurde, noch eine große Zukunft hat. Als Flachwurzler macht ihr die Trockenheit sehr zu schaffen. So angeschlagen hat die Fichte extremen Wetterereignissen, wie etwa Stürmen, nichts entgegen zu setzen. Sturm Kyrill etwa machte im Jahr 2007 in Nordrhein-Westfalen 25 Millionen Bäumen den Garaus – in einer Nacht. 95 Prozent davon waren Fichten. Immerhin hat man aus der Katastrophe etwas gelernt und vorwiegend Mischwälder aufgeforstet.

Müssen künftig mehr Wegmarkierungen an Pfosten aufgestellt werden, wenn die Wälder weniger werden? In manchen Gegenden wie im Sauerland oder im Harz ist das bereits Realität.

Trotzdem klaffen immer mehr Lücken. Thomas Gemke, der Vorsitzende des Sauerlandvereins, berichtet: „In manchen Gegenden haben wir gar keine Bäume mehr, an denen wir Markierungen befestigen können. Wir müssen stattdessen Pfosten in die Erde rammen.“ Auch Starkregenereignisse tun der Natur nicht gut. Fruchtbarer Humus wird weggeschwemmt, Wälder, Felder und Siedlungen zerstört, ebenso Wanderinfrastruktur wie Wanderwege, Markierungen und Rastplätze. Ein Blick ins Ahrtal zeigt, wo die Reise hingeht, wenn wir nicht gegensteuern.

Wann und wo wird man noch wandern können?
Doch nicht nur die Wegewarte merken den Klimawandel bei ihrer ganz praktischen Arbeit. Auch bei der Wanderführerausbildung spielt er zunehmend eine Rolle. Was tun bei Waldbrandgefahr? Können Rast- und Grillplätze überhaupt noch genutzt werden? Welche Wege sind wegen der Gefahr von Astbruch zu meiden? Und kann bei den hohen Temperaturen im Sommer überhaupt noch zu normalen Tageszeiten und in gewohnter Länge gewandert werden? All diese Fragen spielen bei der Ausbildung eine Rolle. Ebenso wie der Naturschutz. „Unsere Wanderführerinnen und Wanderführer sind wichtige Multiplikatoren bei diesem Thema“, erklärt Karin Kunz, die Geschäftsführerin der Heimat- und Wanderakademie in Baden-Württemberg.

Was man kennt, das schützt man gerne. Bildungsarbeit im Bereich Arten- und Naturschutz wird bei den Wandervereinen wie dem Schwäbischen Albverein groß geschrieben.

Wie wichtig die Natur für den Menschen ist, hat sich vor allem auch während der Corona-Pandemie gezeigt. In Scharen zog es die Leute hinaus, oft auch in sensible Gebiete. Ihnen Wertschätzung und Wissen über die Landschaft, ihre Flora und Faune zu vermitteln, ist eine wichtige Aufgabe, der sich Wandervereine wie der Schwäbische Albverein widmen. Viele sind anerkannte Naturschutzverbände mit viel Wissen in den Bereichen Natur-, Arten- und Landschaftsschutz.

Wandervereine müssen sich einbringen beim Klimaschutz
„Wir brauchen die Expertise der Wander- und Naturschutzverbände“, betonte Dr. Andre Baumann in Fellbach. Er bat sie auch um Mitarbeit bei der Vernetzung von Ökosystemen, dem sogenannten Biotopverbund, an dem in Baden-Württemberg massiv gearbeitet werde. Und um Kooperation beim nötigen Ausbau von Wind- und Solarenergie. Hier gibt es immer wieder Konflikte. Denn es ist in der Tat die Wahl zwischen Pest und Cholera. Windräder und Solarparks sollen auch in Landschaftsschutzgebieten entstehen. Photovoltaik auf Dächern allein reiche nicht, so Baumann.

Das Landschaftsbild wird sich verändern – Windkraftanlagen und Solarparks sind vielen deshalb ein Dorn im Auge. Die Frage ist: Was ist das kleinere Übel?

Eine Zumutung für viele, das sieht auch der Staatssekretär ein, verändern die Anlagen doch das Landschaftsbild. „Wenn wir aber nichts tun, dann wird der Klimawandel unsere Landschaft so stark verändern, wie wir uns das heute gar nicht vorstellen können.“ Solarparks und Windkraftanlagen seien im Vergleich noch maßvoll, erklärt Baumann, der selbst über viele Jahr Vorsitzender eines Naturschutzverbandes war. Sein Aufruf an die Wanderverbände: Bringt Euch ein, redet mit, denkt mit und bestimmt mit. „Es kommt halt darauf an, wo und wie man baut“, so Baumann weiter. Naturschonend solle es sein, mit Schafbeweidung, ohne Düngung, so dass neben und unter den Anlagen „Hotspots der biologischen Vielfalt“ entstehen könnten.

Deutscher Wandertag: Wetter ein Vorbote für das, was kommt.
Beim 121. Deutschen Wandertag konnten sich alle Teilnehmenden sowie die Wanderführerinnen und Wanderer persönlich davon überzeugen, dass die Warnungen vor den Auswirkungen des Klimawandels keine heiße Luft sind und sich auch das Wandern in den nächsten Jahrzehnten nachhaltig verändern könnte. Bei bis zu 38 Grad war manche Tour nicht wie geplant möglich, Tourenverläufe mussten verändert oder abgekürzt werden. Trinkwasser war ein begehrtes Gut. Was bleibt ist neben der Freude an einem gelungenen Wandertag deshalb auch Nachdenklichkeit und ein flaues Gefühl im Magen bei dem Gedanken, was uns wohl noch bevorsteht. Es ist Zeit für die Wanderverbände, noch mehr zu tun für den Klimaschutz. Bei der Feierstunde in Fellbach warnte Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Schirmherr der Veranstaltung, eindringlich: „Uns bleiben nur noch wenige Jahre um die Klimaerhitzung zu bremsen. Wenn es zu heiß wird, dann wird es auch unsere Kulturlandschaften so nicht mehr geben. Dann wird das Wandern in diesen Landschaften nicht mehr so sein, wie wir Sie kennen.“

Bitte vormerken!
Am Samstag, 12. November, veranstaltet der Schwäbische Albverein seinen diesjährigen Naturschutztag. Das Thema: Klimaschutz und Klimaanpassung. Weitere Infos in Kürze.